Sportlich gesehen - und auch landschaftlich, wenn nur die Sicht besser gewesen wäre - war das an
diesem Vormittag und Mittag ein ungewollter Abschluss-Tourhöhepunkt. Dank meiner grandiosen
Fähigkeiten im Lesen und Koordinieren zweier Karten und der Wirklichkeit habe ich wahrscheinlich
den höchsten Pass über den Jura gewählt, den es gibt. Zumindest in dieser Gegend. Von etwa 430 m
am Bieler See ging es so auf 1500 m auf dem Col de Chasseral hoch. Dieser seltsame Fernsehturm
war mir zwar schon vorher aufgefallen, aber dass der mein Ziel werden sollte, ahnte ich da noch nicht.
Da ich schon mal so weit oben war, radelte ich noch ein paar (Höhen-)meter weiter zu einem Hotel
mit Restaurant und gönnte mir nach den 1100 Frühsport-Höhenmetern einen Milchkaffee, Apfelboden und
Schokoriegel mit guter Aussicht über das Bieler Tal.
Eigentlich hatte ich ja nur mit zwei lockeren Auskling-Etappen bis Basel gerechnet, aber nicht mit
mehreren Dingen des heutigen Tages. Vom Col de Chasseral konnte ich schon das nächste Ziel sehen,
St.Imier. Also überraschte es mich nicht, dass eine flotte Abfahrt hinunter auf 793 m folgte.
Auf 12 km. Ich hatte aber nicht mehr erwartet, ausgerechnet hier den Abfahrts-km/h-Rekord
noch zu toppen. 71,8! Und das war wirklich nicht mein Ehrgeiz. Für ein Mittelgebirge ist der Jura
aber wirklich erstaunlich gebirgig. :-) Leider dadurch auch unangenehm, denn oft strampelt man sich
auf Steigungen ab, ohne dass man mit Aussicht belohnt wird - der Wald sieht oben immer noch genauso
aus. In St.Imier jedenfalls stand die nächste Wegentscheidung an, und da ich schnell zur Route "7"
(Jura-Route) wollte, wählte ich den Weg den Hausberg Mt.Soleil hoch, allerdings bei Nieselregen.
Dort ging es also innerhalb von 4 km wieder auf 1291 m hoch. Oben war dann erst mal
ein "Power-Bar" angesagt - und Freude über die braunen Radwegschilder.
Es war schon bald 14 Uhr, und ich hatte erst 41 km geschafft und immerhin noch 55 km bis zum
geplanten Zeltplatz. Weiter ging es - nach einer weiteren Abfahrt - durch leicht hügelige, eigentlich
idyllische Gegend, bis dann in irgendeinem winzigen Nest der Verfahrer an der Kapelle kam, weil die
Radroute schlecht ausgeschildert war. Eine Frau kam aus der Kapelle, an der ich ratlos an der
Weggabelung herumstand, und erklärte mir (alles auf franz.) einen der Wege als den richtigen. Ich
fuhr los, drehte aber bald um, da mir die Wegqualität zweifelhaft erschien. Da kam mir die Dame
mit ihrem Auto entgegen gefahren und bot mir ihr Handy an, um jemanden anzurufen und nach dem Weg
zu fragen. Offensichtlich war ihr fremd, irgendwohin zu fahren (und das weit), ohne dort konkret
zu jemandem zu wollen. Sie versicherte mir aber noch einmal den Schotterweg als den richtigen.
Also wieder da lang...! Der Weg gabelte sich nochmals, ich probierte beide Wege aus, beide endeten
im Nichts - bzw. im Gras. Also doch ganz zur Kapelle zurück und die Asphaltvariante gewählt!
Dieser Weg endete nach ein paar hundert Metern an einem Weitegatter, aber Wege über Weiden hatte
ich schon öfter. In Straßen eingelassene Viehgitter heißen hier übrigens "Bovi-Stop". Also - Tor auf,
mit zurückschnellendem Tor die Lampe verbogen, durchs Tor, Tor zu, Straße weiter. Es folgten der
Übergang auf Schotter, dann schlechten Schotter, Waldweg, Steigung und das Weg-Ende im Wald. Laut
fluchend kehrte ich um - wieder über die Weide mit Kühen, die mich beäugten. Und meine roten
Packtaschen :-) Der Bauer von dem Haus am Tor kam gerade nach Hause und erklärte mir den Weg, und
mir wurde klar, dass der Fehler schon ein Stück vor der Kapelle gelegen hatte, aber ein Schild fand
ich dort tatsächlich nicht.
Es folgten weitere Abschnitte zum "Meter machen", aber auch zum Befluchen der Schüttelstrecken.
Immer klarer wurde mir aber, dass ich speziell nach der Aktion an der Kapelle, die mich viel
Zeit und Kraft gekostet hatte, den anvisierten Zeltplatz streichen sollte, zumal der
Weg dorthin noch einmal
einen Col-de-Irgendwas bedeutet hätte. Auf einer meiner Karten war 12 km vorher noch einer
eingezeichnet, also neues Ziel. Dann kam die nächste Überraschung: eine lange, scharfe Abfahrt,
sicher 400-500 Meter Höhe. Immer tiefer ging es in einen Talkessel hinunter. Mir war gar nicht
klar gewesen, dass ich vorher auf ca. 900 m gewesen war. Ich fand tatsächlich einen Campingplatz,
doch der ältere Herr, der auf mein Schellen am Büro oben aus dem Fenster schaute, erklärte mir,
der Platz sei geschlossen. Doch wenig weiter sei ein neuer, moderner Platz. Den fand ich dann auch
tatsächlich nach einem weiteren Stückchen scharfer Abfahrt an einer Art Jugendherberge bei St.Ursanne.
Ich hoffte sehr, dass ich diese Steigungen am nächsten Tag nicht wieder hinauf musste.
Der Platz- und Herbergswart war nicht da (Rezeption heute Abend geschlossen), aber ich erreichte ihn
telefonisch, baute das Zelt auf und duschte in der Umkleide der Fußballer, die gerade auf
einem Platz nebenan spielen gegangen sind. Keine Autobahn hier (am nächst-weiteren Platz wäre eine
gewesen), die Horde Schulkinder aus der Herberge war auch irgendwann weg, man hörte Kuhglocken,
den Dorffußballverein und gelegentlich einen Zug auf der Hochbrücke über dieses seltsame
Kesseltal.
Nach einem Experimentalkochen von Basmatireis mit gebratenem Apfel (durchaus lecker!) spazierte ich
im Dunkeln etwa 1 km Richtung "Centre Ville" und fand ein ganz gemütliches Städtchen mit
Stadttoren (Foto ist vom nächsten Morgen) und kehrte in einer Kneipe eines Hotels zu einer
Tagebuchsession mit Wein und einer
Minitüte Chips ein, um die heutigen 6 1/4 Stunden reine Fahrzeit zu feiern. |