Der Tag war sicher in mehrerlei Hinsicht ein Tour-Höhepunkt! Aber der Reihe nach...
Lecker Frühstück im Hotel Wetterhorn mit Produkten aus der eigenen Landwirtschaft: Käse, "Ziger",
Konfitüre, Butter, die auch leicht nach Ziege schmeckte :-). Aufbruch war um 9:10 mit dem Gefühl
im Bauch, dass die Grenzen zwischen sportlich, leicht bekloppt und total gaga manchmal verschwimmen.
Direkt ab dem Hotel sollte der eigentliche Anstieg zum Pass "Große Scheidegg" beginnen. Angesichts
der Erfahrungen auf den bisherigen Höhenunterschieden war also Respekt angebracht - und das gleich nach
dem Frühstück.
Die Straße ist aber durchgehend geteert - das wusste ich bereits - und nur von "Anstößern" und den
Bussen befahren, die schon von weit her hörbar sind wegen ihres Posthorn-Signals, das mit der
"Sanostooool"-Melodie durchs Tal hallt. Ferner fehlten der Strecke die oft demoralisierenden
Gefälle-Abschnitte, auf denen man oft bloß wieder Höhe verliert. Es ging schön kontinuierlich auf einer
Strecke von 7,3 km von ca. 1200 m auf 1962 m hoch. 10 % also. Auf dem Weg übte
ich mich in meinem neuen Hobby: Unbepackte Ausflugsradler abhängen :-)
Es war heiter bis wolkig und besserte sich sogar im Laufe des Vormittags noch. Oben auf dem Pass gab
es außer einem Café nicht viel Infrastruktur, aber dank Kuhglocken, Grashüpfer auf dem Bein und
schöner Aussicht fast mehr Idylle, als man auf einmal verarbeiten kann :-) Ich wuchtete mein Rad
einen kleinen Hügel hoch, aß mitgebrachte Brote etc. und beobachtete Japaner, die sich vor der
Aussicht samt Schweiz-Fahne fotografierten.
Es folgte nun eine 20 km lange Abfahrt in Richtung Meiringen bzw. Innertkirchen mit vielen
Kurven und vielen Fotostopps in beeindruckender Landschaft bei supertollem Wetter. Bei der Fahrt
musste ich mich manchmal zwingen anzuhalten, um rückwärts die Aussicht auf Berge, Gletscher und
Gebirgsbäche nicht zu verpassen.
In Innertkirchen stand dann die Entscheidung an, ob ich über den Sustenpass oder den Grimselpass
fahre. In der Richtung Grimsel sah das Wetter deutlich schlechter aus - eine regelrechte Wolkengrenze
hing dort am Berg. Doch dies war die einzige Möglichkeit, mit nur einem der "richtigen" Alpenpässe
weiterzukommen - und da ich die Strecken hier noch nicht kannte, wählte ich diese vorsichtigere
Variante. Also hinein in die Wolken...! Das Schild "Radroute steigt 1480 m auf 24 km" war
mir hier ein Foto wert. Später folgten zwei weitere mit Zwischenständen, und ich fand es beunruhigend,
dass die Kilometer zunächst schneller abnahmen als die verbleibenden Höhenmeter.
Dann kam die Sache mit den Tunnels...! Beim ersten längeren war die "alte" Straße als Umgehung für
Radler ausgeschildert, aber bei weiteren fehlte das. OK - die waren recht kurz, aber doch unangenehm.
In einem schaltete ich das Licht ein und machte einen Zwischenspurt, um schnell hindurch zu kommen.
Bei zweien suchte ich auf etwas, das wie ein Wanderweg aussah, selbst eine Umfahrung. Das war auch
erfolgreich, ich musste nur zwischendurch eine Baumstamm-Weideschranke beiseite schieben - und stand
am Ende des Pfades vor einem elektrischen Weidezaun. Ich entschied mich, zum Ausgang der Weide zu
schieben, wo ich diese über ein Viehgitter im Boden verlassen konnte.
Als ich nach einer Pause gerade wieder aufbrechen wollte, holte mich Peter (52) aus den Niederlanden
ein, den ich schon in Innertkirchen hatte sitzen und essen sehen. Mit ihm zusammen fuhr ich weiter
in Richtung Passhöhe. Es zeigte sich, dass ich alleine schneller gefahren wäre, zumal ich in meinem
1.Gang die größere Übersetzung hatte, aber ich vermute, es tat mir gut, mich ein wenig zurückzuhalten
und gelegentlich auf Peter zu warten, schon bevor ich z.B. vor Erschöpfung Pausen gebraucht hätte.
Wer weiß, wie es mir auf der langen Steigung sonst ergangen wäre!
Das Wetter wurde - wie erwartet - fies, und auch dadurch wirkte die Landschaft nicht gerade
idyllisch, sondern eher schroff und bedrohlich. Aber während es immer höher hinauf ging, fand ich
beeindruckend, was man hier an Bauwerken in die Landschaft gesetzt hatte, insbesondere die Straßen
und Staudämme von übereinander liegenden Stauseen, z.B. dem "Räterichsbodensee".
Oben am Pass erwarteten uns in der beginnenden Dämmerung Begrüßungsschafe und eine - selbst bei dem
Wetter - imposante Aussicht auf den Rhonegletscher, die Ansiedlung "Gletsch" und den Furkapass. Nach
einem Siegerfoto und Umziehen für die Abfahrt machten wir uns dann auf den Weg die Serpentinen
hinunter. Wegen der beginnenden Dämmerung war Licht sowieso bald angebracht, und so kam ich auf die
Idee mit meinem Renak-Nabendynamo (mit Getriebe und so etwas schwergängiger als andere, dafür ausgeschaltet
völlig entkoppelt) etwas Energie loszuwerden und so die Bremsen ein kleines Bisschen zu schonen.
Die Zeltplätze bei Oberwald, die in Peters Karte eingezeichnet waren, waren nicht da, aber mit
Nachfragen fanden wir den in Ulrichen an der Einmündung der Staße zum Nufenenpass. Nach dem Zeltaufbau
kochte Peter sich etwas im Dunkeln unter einem Picknickpavillon, während ich Salathunger hatte und
schreiben wollte und deshalb passend zur Radelkleidung, die ich noch trug, einen Fitnessteller im
Restaurant Alpina essen ging.
Reine Fahrtzeit heute übrigens: 6:10 Std. - plus viele kleine Pausen am Pass. Beim Essen fiel mir im
Rückblick ein: Angesichts der Tatsache, dass ich vor 20 Jahren eine Radtour durch die Lüneburger
Heide (!) mit Knieproblemen abbrechen musste, bin ich über die heutigen 2200 Höhenmeter sehr
glücklich. Wieder zurück am Zeltplatz hörten Peter und ich mit seinem Weltempfänger Wetternachrichten,
die für diese Region eher beunruhigend klangen.
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